Alarmismus?

Die Hungersnot in Somalia hat laut der amerikanischen Regierungsbeamten Nancy Lindborg in den vergangenen 90 Tagen mehr als 29’000 Kinder unter fünf Jahren das Leben gekostet. Die Vereinten Nationen haben erklärt, am Horn von Afrika seien Zehntausende von Menschen an Hunger und Dürre gestorben.

Diese Meldung haben wir am 4. August in der NZZ gelesen.

Am 7. August gönnt uns Christoph Plate im Meinungsteil der «NZZ am Sonntag» seine Meinung zum Thema. Unter dem Titel «Weniger Alarmismus könnte helfen» (nicht online erhältlich) schreibt er:

Das sind traurige Geschichten, die aus dem Lager Dadaab in Kenya kommen. Somalier fliehen vor der Dürre in ihrem gescheiterten Staat, vor Kriegsfürsten und islamistischen Milizen.

So weit, so gut. Aber dann lesen wir:

Flüchtlingsbeauftragte, Ernährungsexperten und Politiker aus London, New York und Bern hetzen nach Dadaab, sind betroffen und sprechen viel darüber.

Was soll der Ton, Herr Plate? Sind Tausende von Toten kein Grund, betroffen zu sein und darüber zu sprechen?

Offenbar nicht. Im gleichen Stil gehts weiter, bis es richtig schlimm wird:

Weil viele von ihnen oft und laut «Hilfe, Hilfe!» schreien, hört niemand mehr hin, und es gibt weniger Hilfsgelder. In Zeiten ohne Krisen wird zu wenig geplant und in Infrastruktur investiert, um für Notfälle vorbereitet zu sein. Wer die Presseerklärungen und Handzettel von Hilfswerken zu Hunger, Frauenbeschneidung oder fairem Handel liest, bekommt auch in Zeiten ohne Hungersnot den Eindruck, der Weltuntergang stehe bevor. Mit weniger Alarmismus würde mehr erreicht.

Erstens, Herr Plate, sind jene, die «Hilfe, Hilfe!» schreien meistens nicht dieselben, die einfach nicht in der Lage sind (besser gesagt: sein wollen), an den Strukturen etwas zu ändern.

Zweitens definiert sich «gute» Entwicklungshilfe weniger über die Quantität an Hilfsgeldern, sondern vielmehr über die Qualität beim Einsatz der Gelder.

Drittens ist Hunger auch in Zeiten, in denen bei uns nicht von Hungersnot gesprochen wird, eine Realität – laut Wikipedia sterben jedes Jahr rund 8,8 Millionen Menschen an Unterernährung. Für diese Menschen geht die Welt unter.

Viertens kann es nicht sein, dass über Frauenbeschneidung und Anderes nicht informiert werden darf, nur damit in Zeiten von Hungersnöten die Hilferufe ernster genommen werden.

Und fünftens stehen auf den Handzetteln der Hilfswerke oft genau jene Forderungen, die umgesetzt werden müssten, um künftige Hungersnöte durch Strukturverbesserungen zu verhindern: Fairer Handel, Frauenrechte …

Alarmismus?

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