Finma-Bericht zum Lehman-Konkurs:
Chancen und Risiken aus rechtlicher Sicht

Im direkten Nachgang zur Veröffentlichung des internen Finma-Berichts zum Lehman Brothers-Konkurs stellen sich für die betroffenen Anleger vor allem rechtliche Fragen:

  1. Wie wirkt sich die Veröffentlichung auf die drei laufenden Gerichtsverfahren aus?
  2. Hat der Bericht Einfluss auf bereits abgeschlossene Vergleiche zwischen Banken und Kunden?
  3. Wie gross ist der Einfluss der Politik auf die weitgehend unabhängige Finma? Kann die Politik dem Vorfall zum Beispiel mit einer Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) auf den Grund gehen? Falls ja, was wären die rechtlichen Aufwirkungen, sollte die PUK zum Resultat kommen, dass seitens der Banken (Credit Suisse, Neue Aargauer Bank) und der Finma schwere Fehler gemacht wurden?

Fragen, die ich mit Rechtsanwalt Michael Lauper, der den Berner Kleinanleger Hugo Rey vor Bundesgericht gegen die Credit Suisse vertritt, diskutiert habe.

1. Laufende Verfahren

Michael Lauper sieht keinen Anlass, dem Bundesgericht Informationen bezüglich des Finma-Berichts nachzureichen: «Der Fall Rey ist speziell. Die bei den meisten Lehman-Geschädigten im Vordergrund stehenden Fragen bezüglich mangelhafter Anlageberatung durch die CS stellen sich bei Rey nur beschränkt. Insofern bezieht sich auch der interne Finma-Bericht nur am Rande auf das Prozessthema.» Laut Michael Lauper kommt hinzu, dass vor Bundesgericht neue Tatsachen und Beweismittel nur soweit vorgebracht werden dürfen, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt. Das ist beim Finma-Bericht nicht der Fall, da er nach dem angefochtenen Entscheid des Handelsgerichts Bern an die Öffentlichkeit gebracht wurde.

Anders sieht die Situation in zwei weiteren laufenden Verfahren gegen die Neue Aargauer Bank (eine Tochtergesellschaft der CS) aus. Hier können unter Umständen neue Argumente/Beweismittel nachgereicht werden. Die Zivilprozessordnungen schreiben vor, innert welcher Frist die Parteien Tatsachenbehauptungen und Beweismittel vorzubringen haben. Nach Ablauf dieser Frist werden neue Tatsachen und Beweismittel grundsätzlich nur noch berücksichtigt, wenn sie erst nachher entstanden sind oder Entschuldigungsgründe für das verspätete Vorbringen geltend gemacht werden können.

Laut Michael Lauper ist dies gegeben: «Der interne Finma-Bericht ist erst durch die Veröffentlichung im ‹Sonntag› bekannt geworden und müsste wohl als neues Beweismittel anerkannt werden. Damit ist allerdings nicht viel gewonnen, denn der Finma-Bericht erbringt für sich allein nicht den Beweis für die darin enthaltenen Erkenntnisse. Er ist nur – aber immerhin – geeignet, die Ergebnisse des offiziellen Finma-Berichts zu erschüttern. Nur wenn es den Klägern gelingt, zusätzliche Argumente und Beweismittel in das Verfahren einzubringen, bestehen Chancen, die Erkenntnisse aus dem internen Finma-Bericht rechtsgenügend beweisen zu können».

2. Abgeschlossene Vergleiche

Grundsätzlich gilt: Jeder Vergleich kann aufgrund sogenannter Willensmängel angefochten werden (siehe Art. 21 und Art. 23-31 des Schweizerischen Obligationenrechts). Als Willensmängel kommen vier Gründe in Frage:

  • Übervorteilung
  • Irrtum
  • Absichtliche Täuschung
  • Furchterregung

Laut Michael Lauper besteht in Einzelfällen die Möglichkeit, aufgrund der neuen Erkenntnisse aus dem internen Finma-Bericht einen Grundlagenirrtum geltend zu machen. Voraussetzung dafür ist, dass der Vergleich erstens nach der Veröffentlichung des offiziellen Finma-Berichts abgeschlossen worden ist und dass zweitens der offizielle Finma-Bericht Gegenstand der Argumentation war, die zum Vergleich geführt hat. Nur dann kann ein Kleinanleger argumentieren, er sei den Vergleich eingegangen, weil man aufgrund des offiziellen Finma-Berichts von falschen (feststehenden) «Tatsachen» ausgegangen und somit einem Grundlagenirrtum erlegen sei.

Ist dieser Fall gegeben, muss der Anleger seiner Bank innert Jahresfrist seit Entdeckung des Irrtums erklären, dass er den Vergleich wegen Grundlagenirrtums anficht. Er muss seine Schadenersatzforderung vor Gericht einklagen und um die Summe kämpfen, die er zurückerhalten möchte. Dann prüft das Gericht in einem ersten Schritt, ob der Anleger den Vergleich zu Recht angefochten hat. Stimmt das Gericht zu, ist der Vergleich aufgehoben. Erst jetzt, in einem zweiten Schritt, beurteilt das Gericht die Schadenersatzforderung des Anlegers.

Ein aufwändiges Verfahren, das Gefahren birgt. Michael Lauper erklärt: «Der Anleger riskiert, die ausbezahlte Vergleichsentschädigung an die Bank zurückerstatten zu müssen, ohne die geforderte Summe zu erhalten. Dies ist dann der Fall, wenn das Gericht zwar die Zulässigkeit der Irrtumsanfechtung bejaht, die Schadenersatzklage aber als unbegründet abweist. In diesem Worst Case steht der Anleger schliesslich schlechter da als vor Abschluss des Vergleichs.»

Kurz: Es würde wohl einen Präzedenzfall mit positivem Resultat brauchen, damit sich eine grössere Zahl von Kleinanlegern auf ein derartiges Abenteuer gegen die Credit Suisse (oder eine andere Bank) einlässt (siehe Fazit).

3. Einfluss der Politik

PUK ist möglich

Die Finma ist eine öffentlich-rechtliche Anstalt mit eigener Rechtspersönlichkeit, die über funktionelle, institutionelle und finanzielle Unabhängigkeit verfügt. Trotzdem haben Bundesrat und eidgenössische Räte gewisse Steuerungs- und Einflussmöglichkeiten. Konkret heisst das, dass die Finma ihre Aufsichtstätigkeit selbstständig und unabhängig ausübt, sie muss jedoch dem Bundesrat, dem Parlament und der Öffentlichkeit Rechenschaft ablegen.

Die Oberaufsicht über die Finma nehmen im Auftrag der eidgenössischen Räte die Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) wahr. Die GPK besitzen zur Wahrnehmung ihrer Aufgabe weitgehende Informationsrechte. Wenn Vorkommnisse von grosser Tragweite der Klärung bedürfen, kann die Bundesversammlung zur Ermittlung auch eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) beider Räte einsetzen.

Eine GPK-Finma oder sogar eine PUK-Finma wäre also durchaus möglich, wie auch die Diskussionen im Nachgang zur Affäre der Herausgabe von UBS-Kundendaten an die USA gezeigt haben. Ob der Ruf nach einer Finma-CS-PUK im Parlament Chancen hat, ist schwierig zu sagen. Es würde wohl den Druck der Medien und der Strasse brauchen, um die bürgerliche Parlamentsmehrheit zu «überzeugen».

Was bringt eine PUK?

Ebenso schwierig zu beantworten ist die Frage, was sich verändern würde, käme es tatsächlich zu einer Geschäftsprüfung (oder einer PUK) und käme diese zum Schluss, dass Finma und CS grobe Fehler gemacht haben.

Mangels Präzedenzfällen beschränkt sich die Analyse auf die rechtlichen Fakten:

  • Die GPK (oder die PUK) muss sich auf das Verhalten der Finma konzentrieren. Das Verhalten der CS oder anderer Banken wäre nicht Teil der Untersuchung; es kann nur soweit einbezogen werden, wie es notwendig ist, um das Verhalten der Finma zu beurteilen.
  • Die GPK (oder die PUK) kann sich bei der Überprüfung und der Beurteilung von komplexen Fachentscheiden, die beispielsweise ein spezifisches Finanzmarktwissen voraussetzen, nicht an die Stelle der untersuchten Behörden setzen, sondern nur die massgeblichen Entscheide aus der Warte der parlamentarischen Oberaufsicht würdigen. Das gilt auch für die von der Finma durchgeführten Untersuchungen, die im Regelfall (leider) nicht neu aufgerollt werden.
  • Gemäss Art. 26 des Parlamentsgesetzes (ParlG) umfasst die Oberaufsicht nicht die Befugnis, Entscheide aufzuheben oder zu ändern. Laut Art. 158 ParlG kann eine Aufsichtskommission oder -delegation im Bereich der Oberaufsicht nur Empfehlungen an die verantwortliche Behörde richten. Diese muss die Aufsichtskommission oder -delegation über die Umsetzung der Empfehlung informieren. Die Empfehlung und die Stellungnahme der verantwortlichen Behörde werden veröffentlicht, sofern keine schützenswerten Interessen entgegenstehen.

Fazit

Die Aussichten der geschädigten Anleger auf Rückerstattung ihrer Gelder sind also durch die Veröffentlichung des internen Finma-Berichts aus rein rechtlicher Sicht nicht wesentlich besser geworden. Direkt profitieren könnten in erster Linie die Kläger in den beiden laufenden Verfahren gegen die Neue Aargauer Bank.

Aber: Der Effekt einer PUK mit Finma-kritischem Ausgang ist trotzdem nicht zu unterschätzen. Er hätte zwar nicht direkte rechtliche Folgen, könnte aber Signalwirkung haben. Signalwirkung einerseits für eine Verbesserung des Anlegerschutzes und für einen längerfristigen Umbau der Finma zu mehr Unabhängigkeit. Signalwirkung andererseits, indem der Aufwind zur Bildung einer Art Streitgenossenschaft (ähnlich der Anleger-Selbsthilfe) genutzt wird. Konkret könnten alle Anleger, die Vergleiche abgeschlossen haben, gemeinsam den Prozess eines Mitglieds auf Widerruf des Vergleichs finanzieren (Grundlagenirrtum, siehe oben). Würde der Prozess gewonnen, wäre ein Präzedenzfall geschaffen – und die Prozesslawine könnte mit berechtigten Chancen auf Erfolg losgetreten werden.

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