Die Affäre Hildebrand hat vor allem eines gezeigt: Die Macht der Medien ist grenzenlos. Wenn Medien wollen, können sie fast alles. Das ist gut und gefährlich zugleich. Zwei Fragen stellen sich deshalb mehr denn je: Wer oder was bringt Medien dazu, zu wollen? Und: Wer kontrolliert das, was Medien publizieren?
Legislative, Exekutive und Judikative unterstehen demokratischer Aufsicht. Versagt diese, ist es letztlich Aufgabe der Medien, Missstände aufzuzeigen und Korrekturen einzufordern. Vielfältige, einflussreiche Medien sind somit ein wichtiger Teil jeder Demokratie, nicht nur, weil sie längerfristig für Meinungsvielfalt sorgen, sondern auch, weil sie kontrollieren.
Medien sind die sogenannte Vierte Gewalt im Staat. Ironischerweise geniesst aber ausgerechnet dieses übergeordnete Kontrollorgan grosse Narrenfreiheit. Jene, die sich, notabene zu Recht, für Sauberkeit in Politik und Wirtschaft stark machen, sind selbst nur dem Leser Rechenschaft schuldig. Einem Leser, der vielerorts nicht mehr die Wahl hat, welche Zeitung er abonniert und deshalb nur beschränkt Einfluss ausüben kann. Um beim Fall Hildebrand zu bleiben: Wer klopft Roger Köppel und Urs Paul Engeler für ihre Lügen ernsthaft auf die Finger? Richtig: wohl keiner. Rechtliche Schritte werden zwar geprüft, passieren dürfte wie meistens nichts.
Manipulation ohne Folgen
Das Beispiel Weltwoche versus Hildebrand demonstriert exemplarisch, wo die Probleme liegen. Medien können, im Gegensatz zu jeder anderen Instanz im Lande, lügen und manipulieren, ohne mit groben Konsequenzen rechnen zu müssen – und vor allem ohne offenlegen zu müssen, wer die Lügen und Manipulationen finanziert.
Letzteres mag im Fall Weltwoche nicht allzu problematisch sein, weil wir alle wissen, woher der Wind die Geldscheine weht. Schwieriger wird es bei Produkten wie NZZ, Tagesanzeiger/Bund, BAZ, Berner Zeitung, Blick usw. Wie abhängig sind sie und ihre Inhalte von Inserenten und Geldgebern im Hintergrund? Weshalb wird eine Geschichte wie die Affäre Hildebrand derart gross, eine andere, wie der geschönte Finma-Bericht zum Credit-Suisse-Lehman-Brothers-Debakel, derart klein gefahren.
Liegt es daran, dass die Nationalbank, im Gegensatz zur Credit Suisse, keine Inserate schaltet? Möglich. Wer verzichtet heutzutage schon gerne auf Hunderttausende von Franken aus dem CS-Marketing-Topf? Sicher ist: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten steigt das Risiko der Abhängigkeit. Wenn ein Inserat nicht mehr eines unter vielen ist, wird es allzu wichtig. Wenn mit Inserenten nicht mehr genug Geld verdient werden kann, gewinnt der Geldgeber im Hintergrund an Einfluss. Die Beispiele Weltwoche und Basler Zeitung veranschaulichen das Problem: Parteinahe Financiers kaufen Medien und nutzen sie als politische Propagandainstrumente – natürlich ohne die tatsächlichen Besitzverhältnisse offenzulegen.
Transparenz ist das Eine, …
Deshalb: Macht Medienmacht transparent! Was es braucht, ist komplette Transparenz über die Finanzierung politisch relevanter Medienprodukte. Dem Nutzer muss klar sein, wer wen bezahlt, wer wie stark von wem abhängig ist, wer mit seinen Inseraten prozentual wie viel zum Umsatz beiträgt. Nur so kann der Konsument einordnen, weshalb ein Text im Tagesanzeiger ganz anders tönt, als in der WOZ, nur so kann er beurteilen, weshalb die eine Geschichte gross, die andere gar nicht gefahren wird. Leider dürfte so viel Transparenz in einer Marktwirtschaft kaum durchsetzbar sein.
«Rettet Basel!» hat vor einiger Zeit die Aktion «Medientransparenz» ins Leben gerufen. Sie fordert mit einer Petition an Bundesrat und Parlament die «Offenlegung der Eigentumsverhältnisse an Medienunternehmen». Wenigstens das sollte hierzulande möglich sein. Bis jetzt sind 2179 Unterschriften zusammengekommen.
… Kontrolle das Andere
Transparenz ist das Eine, Kontrolle das Andere. Letztere gestaltet sich schwierig, denn einziges Kontrollorgan der Medien sind – die Medien (ausser natürlich, wenn strafrechtlich relevante Vergehen gemacht werden). Es ist deshalb falsch, wenn im Nachgang zur Affäre Hildebrand von Journalisten mehr Solidarität mit Berufskollegen jeder Couleur gefordert wird. Das Gegenteil ist nötig. Journalisten müssen Journalisten ganz genau auf die Finger schauen. «Kollegenschelte» darf nicht mehr verpönt, sondern muss erwünscht sein. Es braucht unter Medien das gleiche Mass an gegenseitiger Kontrolle und Kritik, das gegenüber allen anderen Institutionen selbstverständlich ist.
Sollen Lügen, Manipulation und Verstösse gegen journalistische Grundlagen einfacher geahndet werden können? Sollen «Fehler» schneller strafbar sein? Hier muss die Antwort ein klares Nein sein. Schränkt man Journalisten mit juristischen Mitteln zu stark ein, kann die Pressefreiheit schnell schaden nehmen. Und das ist sicher nicht der Sinn der Übung. Mit anderen Worten: Konzentrieren wir uns auf Transparenz und Kontrolle. Damit wäre viel gewonnen.
Wie wärs mit einem Medien-Kontroll-Wiki?
Bleibt die Frage, wie die gegenseitige Kontrolle verbessert und öffentlicher werden kann. Einige wenige Blogs, die immer wieder Witziges und Schlimmes aus der Welt der Medien dokumentieren und kritisieren, tun zwar das Richtige. Reichen tut das leider nicht. Erstens sind fundierte Blogeinträge zu aufwändig in der Produktion. Zweitens haben zu wenige Journalisten Zugang zu offenen Foren, in denen sie ihre Anmerkungen publizieren können.
Mein Vorschlag: Schaffen wir in der Schweiz ein Medien-Kontroll-Wiki. Dieses würde es erlauben, täglich ohne grossen Aufwand fehlerhafte Textpassagen aufzulisten, zu kritisieren und zu diskutieren. So könnte längerfristig ein gutes Kontrollorgan entstehen, das jedem Journalisten zugänglich ist und von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Ich bin sicher, etwas mehr Selbstkritik käme bei den Konsumenten gut an und würde dazu beitragen, das Vertrauen in die Berichterstattung zu stärken.
Update 15. Januar 2012: Sechs Parteichefs verlangen die Offenlegung der Eigentumsverhältnisse bei der Weltwoche. Und GLP-Chef Bäumle macht sich sogar dafür stark , dass «alle Medien darlegen, wer bei ihnen Einfluss ausübt.» Denn die Öffentlichkeit müsse wissen, wer die grossen Aktionäre, Finanzgeber und Spender, aber auch die grossen Inserenten sind.
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