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Bezirksgericht Aarau:
lächerliche Argumentation
Heinz Fahrni wandte sich im Jahr 2006 an die Neue Aargauer Bank (NAB), eine Tochtergesellschaft der Credit Suisse (CS), um die finanziellen Auswirkungen seiner Pensionierung zu erörtern. Nach diversen Beratungsgesprächen wurde am 12. Juni 2008 ein Depot eröffnet, es wurden diverse Anlagen getätigt und unter anderem 50’000 Franken in ein strukturiertes Papier der US-Bank Lehman Brothers investiert.
Gerade mal drei Monate später ging Lehman Brothers Konkurs, Fahrni war sein Geld los. Anders als den meisten der insgesamt 20’000 Schweizer Lehman-Geschädigten wurde Fahrni keine Teilentschädigung angeboten, aus Gründen, die unklar sind. Er klagte beim Bezirksgericht Aarau auf volle Rückerstattung des verlorenen Geldes – und scheiterte.
Fahrnis Klage stand von vornherein unter einem schlechten Stern, weil er den Fehler machte, das Unterfangen ohne den Beistand eines Anwalts in Angriff zu nehmen. Als er schliesslich einen Anwalt einschaltete, waren etliche mögliche Argumentationslinien vertan.
Trotzdem hätte das Bezirksgericht Aarau dem Kläger meines Erachtens Recht geben müssen. Denn relevant ist vor allem ein Punkt: Als die NAB-Beraterin Heinz Fahrni das fragliche Produkt am 12. Juni 2008 verkaufte, war sonnenklar, dass Lehman Brothers in erheblichen Schwierigkeiten steckte und ohne gröbere Eingriffe von Seiten des Staats oder anderer Banken nicht zu retten sein würde.
Darf eine Schweizer Bank in dieser Situation noch Lehman-Brothers-Papiere verkaufen? Sicher nicht! Abgesehen davon, dass es moralisch verwerflich ist, die Kundschaft derart auflaufen zu lassen, bestand zwischen der NAB und Heinz Fahrni ein «einfacher Auftrag». Das hat auch das Gericht erkannt. Es schreibt in seiner Urteilsbegründung:
Daraus entstehen allgemeine Treue- und Sorgfaltspflichten des Beauftragten (Art. 398, Absatz 2, OR). Wie weit diese in der Anlageberatung gehen, ist umstritten. Die Frage ist, ob sich im vorliegenden Fall die Verpflichtung ergibt, auf das offensichtliche Insolvenzrisiko bei Lehman Brothers aufmerksam zu machen? Eine Frage, die jeder vernünftige Mensch mit einem klaren Ja beantworten würde. Das sieht, im Prinzip, auch das Gericht so. Es schreibt:
Beide Fälle sind gegeben: Heinz Fahrni verlangte eine Beratung und erkannte das Risiko nicht. Es bleibt also die alles entscheidende Frage, ob die NAB (bzw. die CS) hätte erkennen müssen, wie schlecht es um Lehman Brothers steht.
Wie schon das Obergericht Bern und das Bundesgericht im Fall von Hugo Rey (1, 2) folgte das Bezirksgericht Aarau in diesem Punkt blindlings dem untauglichen Finma-Bericht vom 2. März 2010 und der Argumentation der NAB:
Eine geradezu lächerliche Argumentation. Der Kursverlauf an der Börse tut tatsächlich wenig zur Sache. Es gibt aber andere wichtige Indikatoren – und die liessen im Juni 2008 für Lehman Brothers Böses erahnen (1, 2).
Das erkannte auch die Finma, die insbesondere das Verhalten der CS in der Lehman-Affäre untersuchte. In einem internen Bericht vom März 2009 zuhanden des Verwaltungsrats (veröffentlicht von der Zeitung «Sonntag») kommt sie zu ganz anderen Schlüssen als ein Jahr später im offiziellen Bericht: Die CS erhält schlechte Noten, unter anderem wird klar, dass die CS (und damit wohl auch die NAB) zwar den Eigenhandel mit Lehman-Papieren rechtzeitig einstellte, den Verkauf der Papiere an die Kundschaft aber in einzelnen Kundensegmenten kräftig vorantrieb (1, 2).
Doch auch dieses interne Finma-Dokument konnte nicht dazu beitragen, das Gericht umzustimmen oder wenigstens zweifeln zu lassen:
«Dummerweise» sind die Erkenntnisse und Vorwürfe an die CS, die der interne Finma-Bericht beinhaltet, gesichert. Die gravierenden Probleme bei Lehman Brothers waren in der Branche bekannt. Sie waren so öffentlich, dass sie bis heute von jedermann innert nützlicher Frist recherchiert werden können (1). Man muss nur wollen.
Das Problem ist, niemand will. Nicht der Grossteil der Presse und schon gar nicht die Gerichte. Aus welchen Gründen auch immer. Als letzte Hoffnung im Kampf gegen den geschönten offiziellen Finma-Bericht – und damit auch im Kampf gegen abstruse Gerichtsurteile – bleibt die Untersuchung der parlamentarischen Geschäftsprüfungskommission. Diese ist offenbar immer noch am Thema dran, wie dem Wortprotokoll des Ständerats, Sommersession 2012, zu entnehmen ist.