Die simple Welt des Michael Hug

Michael Hug, Chefredaktor der Berner Zeitung, ist kein Sozialdemokrat. Das ist nichts Neues und kein Problem. Im Gegenteil: Der linken Stadt Bern könnte ein bürgerlicher Journalist, der fundiert argumentiert, gut tun.

Das Problem ist: Michael Hug argumentiert alles Andere als fundiert. Er verdreht die Tatsachen, wenn es seiner Haltung dient. Er fordert und kritisiert, ohne auch nur den Ansatz einer Lösungsmöglichkeit aufzuzeigen. Wer Michael Hug liest, hat oft das Gefühl, die «Weltwoche» in den Händen zu halten: undifferenziertes Verwaltungs- und Staatsbashing, hemmungsloser Thesen-Journalismus.

Ein gutes Beispiel dafür, wie Hug denkt und argumentiert, liefern seine Kommentare zur Abstimmung vom vergangenen Wochenende über die Motorfahrzeugsteuern. Sage und schreibe vier Mal (1, 2, 3, 4) machte er sich im Vorfeld für den Volksvorschlag stark. Am vergangenen Montag, nach dem Ja des Stimmvolks, hat er noch einmal nachgelegt (1). Der folgende unvollständige Aussagen-Mix ist nicht chronologisch, sondern thematisch geordnet.

Thema: «der böse Staat»

Beginnen wir mit Michael Hugs abstrusem Verhältnis zum Staat. Er sieht in den von uns gewählten Volksvertretern Gegner, die gegen uns arbeiten, die immer wieder versuchen, uns zu betrügen. Hug schreibt:

Langsam sollte der Letzte gemerkt haben, dass Regierungen, wenn sie vom Sparen reden, nicht Sparen meinen. Sie meinen damit nur, dass sie nicht so viel mehr ausgeben können, wie sie eigentlich ausgeben möchten.

Und:

Ausserdem haben Politiker von links bis weit ins bürgerliche Lager hinein ausgeklügelte Strategien entwickelt, um ihren Wählerinnen und Wählern das Geld aus der Tasche zu ziehen.

Und:

Aber offensichtlich braucht es unmissverständliche Signale, wie sie hierzulande traditionell das Stimmvolk aussenden muss, wenn die Volksvertreter endlich etwas begreifen sollen.

Und:

Es würde helfen, den Berner Bären endlich von den Steuerhonigtöpfen zu verscheuchen und ihm auf die Sprünge zu helfen.

Und:

Anständige Politikerinnen und Politiker vergessen nie, wessen Geld sie verteilen.

Anständige (und unanständige) Politikerinnen und Politiker verteilen auch das eigene Geld, Herr Hug, sie zahlen Steuern wie Sie und ich. Regierungen verteilen das Geld nicht zu ihrem eigenen Vergnügen, sondern erfüllen demokratisch beschlossene Aufträge.

Michael Hug sieht den Staat als einen Moloch, der uns unterjocht und ausnimmt. Er scheint allen ernstes zu denken, Politiker und Staatsangestellte hätten ein Interesse daran, uns das Geld aus der Tasche zu ziehen. Er tut so, als würden Politiker hierzulande persönlich davon profitieren, wenn sie gegen das Volk arbeiten. Michael Hug klopft in Sachen Staat Töne, wie wir sie vor allem aus den USA kennen.

Thema: «zu hohe Steuerbelastung»

Zu Hugs staatsfeindlicher Haltung passen seine Bemerkungen bezüglich Steuerbelastung. Er schreibt:

Der Kanton Bern hat es verpasst, seine deutlich über dem Schweizer Durchschnitt liegende Steuerbelastung in guten Zeiten zu reduzieren.

Und:

Die Botschaft für das zahlende Volk: Der Kanton braucht jeden Franken. So spricht eine Regierung, die trotz einer Milliarde Finanzausgleich und überdurchschnittlich hohen Steuern immer noch viel zu viel ausgibt.

Und:

Sie hätten in den guten Jahren viel Spielraum für intelligente Lösungen gehabt. Aber offensichtlich braucht es unmissverständliche Signale, wie sie hierzulande traditionell das Stimmvolk aussenden muss, wenn die Volksvertreter endlich etwas begreifen sollen. Deshalb: Ja zur grösstmöglichen Senkung der Motorfahrzeugsteuern und Nein zu jeder Form von Steuererhöhungen.

Erstens: Von guten Zeiten kann keine Rede sein. Der Kanton Bern hat es in schlechten Zeiten dank zahllosen Sparpaketen geschafft, ein positives Budget zu präsentieren und Schulden abzubauen. Wie hätte er da noch die Steuerbelastung reduzieren sollen? Zweitens: Der Kanton Bern füttert zahlreiche Gegenden durch, die kein Geld generieren, sondern viel kosten. Wer Bern undifferenziert mit anderen vergleicht, zeigt seine Inkompetenz. Drittens: Auch von Herrn Hug wird gerne verschwiegen, dass Bern in reinen Zahlen zwar tatsächlich massiv vom Finanzausgleich profitiert. Wenn man die Zahlen allerdings pro Kopf betrachtet, liegt der Kanton im Mittelfeld (1). Viertens: Gerne würden wir hören, wie die «intelligenten Lösungen» aussehen, Herr Hug.

Notabene haben in den 1980er-Jahre drei aufeinanderfolgende, von bürgerlicher Seite durchgedrückte Steuersenkungen den Kanton Bern in eine veritable Schuldenspirale getrieben. Während der letzten zwei Jahrzehnte kämpfte der Kanton unter anderem mit den Folgen dieser Politik. Das Resultat ist bekannt: Zahllose Sparpakete, die meist zu Lasten von Bildung und Gesundheit gingen und gehen. Sollen die alten Fehler wiederholt werden, Herr Hug?

Thema: «keine Sparanstrengungen des Kantons»

Michael Hugs Probleme mit Staat und Steuern sind keine gute Ausgangslage für eine differenzierte Auseinandersetzung mit finanzpolitischen Themen. Das zeigt sich in seiner «Wahrnehmung» der Sparanstrengungen des Kantons Bern in den letzten Jahren. Er schreibt:

Seit zwei Jahrzehnten reden und reden die Volksvertreter vom Sparen und haben wenig bis nichts zustande gebracht – ausser massiv anwachsenden Steuereinnahmen und einer sich stetig aufblähenden Kantonsverwaltung.

Und:

So wenig das ist, so verbissen kämpft die bernische Regierung bei den Einnahmen um jeden Rappen. Man wünschte sich, dass sie es auch bei den Ausgaben so hielte. Dort tut sie aber das Gegenteil.

Und:

Wer sich durch Detailklauberei und Nebelpetarden den Blick aufs Ganze nicht verstellen lässt, wird konstatieren, dass im Kanton Bern weder die Regierung noch die Mehrheit im Grossen Rat ernsthaft Anstrengungen für einen finanzpolitischen Kurswechsel unternehmen.

Das sind mehr als grobe Vereinfachungen der Realität, es ist eine Frechheit gegenüber den verantwortlichen Politikern in der Exekutive. Erstens: Seit 1991 hat der Kanton Bern jedes Jahr Sparpakete verabschiedet, er hat in schlechten Jahren 14  Mal in Folge einen positiven Jahresabschluss präsentiert, er hat zuletzt 8 Jahre in Folge Schulden abgebaut. Wie hätte er das alles bewerkstelligen sollen, ohne massiv zu sparen? Keine Ahnung, auch hier bleibt Hug jeden konkreten Hinweis schuldig.

Thema: «Verwaltungsapparat ist zu gross»

Sorry: Einen «konkreten» Hinweis hat Hug doch auf Lager. Er stört sich am «aufgeblähten» Verwaltungsapparat. Er schreibt:

Die weitaus dramatischste Entwicklung, die es zu stoppen gilt, ist das massive Wachstum der Personalkosten im Kanton Bern. Hier geht es nicht um ein paar Millionen, sondern um Milliarden.

Und:

Es geht bloss darum, dass auch für die Bürokratie gelten muss, was für alle anderen gilt: Es können nicht immer nur neue Aufgaben dazukommen, es müssen auch Aufgaben gestrichen und gewisse Bereiche gestrafft werden.

Klar, die Verwaltung soll effizient arbeiten, nicht Nötiges soll gestrichen werden. Was Michael Hug aber macht, ist das bekannte, simple Verwaltungs-Bashing. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit Sinn und Unsinn von Verwaltungsaufgaben wäre ein bisschen schwieriger. Letzteres würde mit sich bringen, konkrete Vorschläge zu machen, in welchen Verwaltungsbereichen der Hebel anzusetzen ist. Aussagen wie «Aufgaben streichen» und «gewisse Bereiche straffen» sind wenig hilfreich.

Ein Blick in die eigene Zeitung oder den Bund würde genügen, um bei Michael Hug für Basiswissen zu sorgen. Da lesen wir immer wieder fundierte Texte zum Thema «Ausgaben» und «tatsächliche Sparmöglichkeiten» des Kantons Bern (unter vielen anderen: 1, 2, 3, 4). Der interessierte Leser merkt, dass die reale Welt weniger simpel ist als jene des Michael Hug.

Weshalb die Aufgaben des Staates zunehmen und sich der Verwaltungsapparat «aufbläht», ist alles Andere als ein Geheimnis. Ein paar Beispiele gefällig, Herr Hug?

  • Stichwort Lohngleichheit: Frauen verlangen heute den gleichen Lohn wie Männer – das kostet.
  • Stichwort Infrastruktur: Die Mobilität nimmt zu, Instandhaltung und Ausbau der Verkehrswege sind aufwändig – das kostet.
  • Stichwort Justiz: Neue bundesrechtliche Vorgaben haben für einen beträchtlichen Mehrbedarf an Personal gesorgt – das kostet.
  • Stichwort Polizei: Die Integration der Stadtpolizeien Biel, Thun und Bern hat grosse personelle Auswirkungen – das kostet.
  • Stichwort Bildung: Die Kantonalisierung der Berufs- und Fachhochschulen hat den kantonalen Stellenetat stark ausgeweitet. Wer mehr Lehrerstellen übernimmt, vergrössert damit auch die Zahl der Verwaltungsstellen – das kostet.

Für weitere Beispiele einfach ab und zu mal einen Blick in die Zeitungen werfen oder ein Gespräch mit einem Verwaltungsangestellten riskieren.

Thema: «Wink mit dem Zaunpfahl»

Endgültig lächerlich macht sich Michael Hug mit seiner Argumentation pro Volksvorschlag in Sachen Motorfahrzeugsteuern. Er schreibt:

Wer Schulstunden streicht und Strassenborde verwildern lässt, will nicht wirklich sparen, sondern zuerst einmal jene bestrafen, die gefälligst bezahlen sollen, ohne aufzumucken. Wer von solchen politischen Winkelzügen genug hat, kann diesen Herbst Gegensteuer geben.

Und:

Diese Steuersenkung ist in der Sache zwar wenig sinnvoll. Aber als Zaunpfahl eignet sie sich hervorragend – zum Winken.

Und:

Darf man als umweltbewusster Mensch einer Senkung der Motorfahrzeugsteuer zustimmen? Ja, im Kanton Bern darf man sogar als umweltbewusster Mensch bedenkenlos zustimmen.

Und:

Natürlich gäbe es sinnvollere Steuersenkungen als bei den Autos. Natürlich gäbe es viele Gründe, etwas für Familien zu tun, wie das die Steuererhöher nebenbei versprechen. Aber in der Summe geht es einmal mehr um wenig. Die Bedeutung der Abstimmung liegt deshalb in der Botschaft. Es geht nur um diese eine Frage: Steuern rauf oder Steuern runter.

Und:

Jetzt, wo es gilt, eine Senkung der Motorfahrzeugsteuer zu verhindern, entdecken Regierung und Grosser Rat des Kantons Bern plötzlich den Umweltschutz als Feigenblatt für ihre Hochsteuerpolitik. Die nach Umweltkriterien abgestufte Ecotax, wie sie ihre Motorfahrzeugsteuer neu nennen, habe eine «Lenkungswirkung beim Autokauf», schreiben sie in der Abstimmungsbotschaft für den 23.September: «Dadurch sollen die CO2-Immissionen um 20000 Tonnen pro Jahr gesenkt werden.»

Tatsächlich? Vor 12 Jahren wollten Umweltverbände die bernische Motorfahrzeugsteuer nach Umweltkriterien abstufen, um damit eine Reduktion der CO2-Belastung zu erwirken. In der Abstimmungsbotschaft für den 26.November 2000 schrieben Regierung und Grosser Rat: «Das Initiativkomitee überschätzt die ökologischen Auswirkungen der Initiative bei weitem.» Die Motorfahrzeugsteuer mache lediglich 5 Prozent der Betriebskosten eines Autos aus und habe deshalb «keine Lenkungswirkung».

Die Erklärung für die Kehrtwende ist simpel. Damals hätte die Änderung der Autosteuer für die Staatskasse nur administrativen Aufwand bedeutet. Die hohen Einnahmen waren nicht gefährdet. Und nur um die Einnahmen geht es (…)

Es tut mir leid, Herr Hug, aber das ist kein ernst zu nehmender Diskussionsbeitrag. Wenn Sie politische Anliegen aus purem Trotz ablehnen, spricht das nicht für Ihren Weitblick und Ihre Professionalität.

Apropos Ecotax: In Regierungsrat und Grossrat sitzen Menschen wie Sie und ich. Menschen, die wie Sie und ich bisweilen dazulernen. Gerade in den vergangenen zehn Jahren hat sich viel getan. Das Berner Volk denkt über den Atomausstieg nach, es hat der Energiestrategie zugestimmt. Ecotax wäre ein Schritt im Rahmen dieses Umdenkens gewesen. Mobilität ist ein Energiefresser und produziert jede Menge CO2. Hier könnte man viel gewinnen in Sachen Umweltschutz. Zu behaupten, es gehe Regierung und Parlament nur ums Geld, ist – gelinde gesagt – eine Frechheit.

Fehl am Platz

So abgedroschen es klingen mag: Michael Hug ist der typische bürgerliche Gutverdiener, der nicht kapiert hat, dass der Bildungs- und Sozialstaat das A und O einer funktionierenden Gesellschaft ist, einer Gesellschaft, die auch dem Wohlhabenden Sicherheit bietet. Michael Hug ist ein Chefredaktor, der aus purer Staatsfeindlichkeit und aus purem Trotz gegen Vorlagen anschreibt und Tatsachen verdreht. Das ist ein Niveau, das sicher nicht in eine Tageszeitung gehört, die den Anspruch hat, seriös zu sein.

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