Lehman-Brothers-Debakel:
Credit Suisse untersucht sich selbst –
im Auftrag der Finma

Die Geschäftsprüfungskommission des Parlaments (GPK) hat ihre Untersuchung zum Verhalten der Finma im Fall Credit Suisse-Lehman Brothers abgeschlossen. Das Resultat: Die Finma hat keine Fehler gemacht. Das Problem: Laut GPK hat die Finma den Fall gar nicht richtig untersucht – sie hat die Credit Suisse beauftragt, sich selbst zu untersuchen …

Am 28. Februar 2011 haben Sabine Heinvirta und Matthias Schmid beim Eidgenössischen Finanzdepartement eine Aufsichtsbeschwerde gegen die Finma eingereicht. Der Grund:

Die Geschehnisse rund um den Vertrieb von kapitalgeschützten Sparanlagen der Lehman Brothers sind bis heute nur lückenhaft geklärt. Und der Vertrieb von kapitalgeschützten Sparanlagen der Isländischen Kaupthing Bank durch die Credit Suisse (und ihre Tochterbanken) wurde bei allen bisherigen Untersuchungen sogar vollständig von der Finma ausgeklammert.

Jetzt ist die Antwort da. In einem vierseitigen Brief teilt die Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Ständerats mit, die Finma habe unabhängig untersucht, sie habe keine Fehler gemacht, die krassen Differenzen zwischen internem und öffentlichem Bericht seien erklärbar und nicht verdächtig.

Finma: passiv

So weit, so vorhersehbar. Überraschend ist, dass im Brief mit keinem Wort auf den Fall Kaupthing eingegangen wird. Und richtig schlimm wirds, wenn man sich den GPK-Text genauer anschaut. Im ersten Teil des Briefs, zur Frage, ob die Unabhängigkeit der Finma gegeben sei und ob diese die CS gegenüber den Kleinanleger bevorzugt habe, beschreibt die GPK den Verlauf der Finma-CS-Untersuchung:

Im konkreten Fall eröffnete die Finma ein Verwaltungsverfahren nach Artikel 30 des Bundesgesetzes vom 22. Juni 2007 über die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMAG; SR 956,1). Sie liess in der Folge eine Untersuchung zuhanden der FINMA durch die CS durchführen und verifizierte die Resultate durch Befragungen von CS-Mitarbeitenden.

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Die CS steht im Verdacht, beim Verkauf von Lehman-Brothers-Produkten Fehler gemacht zu haben. Was tut nun die Finma laut GPK, um der Sache auf den Grund zu gehen? Sie beauftragt die CS, sich selbst zu untersuchen, und überprüft die Aussagen, indem sie jene befragt, die sich selbst untersucht haben.

Das ist, gelinde gesagt, der Witz des Jahres. Auch wenn mans vorteilhafter formulieren würde – z.B.: Die Finma hat der CS einen kritischen Fragenkatalog zugestellt und dann hartnäckige Interviews geführt –, bleibt der Sachverhalt skandalös. Wieso hat man nicht mit betroffenen Anlegern und beteiligten Anwälten gesprochen? Wieso hat man den Verkauf von Kaupthing-Papieren nicht untersucht und versucht festzustellen, ob es Parallelen gibt?

Dass die Finma-«Untersuchung» mit einer schriftlichen Fragerunde begonnen hat, war anzunehmen. Dass aber ausser ein paar nichtsnützen Interviews mit CS-Leuten nichts hinzugekommen ist, ist schlicht unglaublich. Die GPK stört sich aber keine Sekunde an der Passivität der Finma:

Aus der Tatsache, dass die CS durch die Finma beauftragt wurde, die Untersuchung durchzuführen, kann aus Sicht der GPK-S nicht geschlossen werden, dass die Unabhängigkeit der Finma nicht gewahrt wurde.

Erstaunlich! Aber offenbar ist die Vorgehensweise der Finma keine Seltenheit:

Ein solches Vorgehen ist gemäss Angaben der Finma durchaus üblich, auch auf internationaler Ebene (…)

Mehr als erstaunlich! Heisst das, Finma-Untersuchungen gegen grössere Institute wie die CS werden stets mittels Selbstuntersuchung der Betroffenen durchgeführt?

GPK: ahnungslos

Trotz der Selbstuntersuchung durch die CS – das Resultat kann man sich denken – fiel der interne Finma-Bericht vom 10. März 2009 kritisch aus. Kein Wunder: Die Probleme bei Lehman Brothers und das Fehlverhalten der CS waren offensichtlich, was natürlich auch der Finma nicht entging.

Im öffentlichen Bericht vom 2. März 2010 ist davon nichts mehr zu lesen. Im Gegenteil. Alle relevanten Aussagen sind ins Gegenteil verkehrt. Auch diesen verdächtigen (oder zumindest merkwürdigen) Umstand hat die GPK «untersucht» – und für nicht auffällig befunden. Sie schreibt:

Die Finma führte gegenüber der GPK-S aus, dass der interne Bericht vom 10. März 2009 nicht im Widerspruch zum Schlussbericht stehe, sondern ein Produkt einer früheren Etappe bei der Aufarbeitung des «Falls Lehman» darstelle, der auf einem ersten vorläufigen Wissenstand basiere.

Der pure Nonsense. Erstens war der interne Bericht zuhanden des Verwaltungsrats bestimmt, also mehr als nur ein vorläufiger Wissensstand. Zweitens gewinnt man mit einer vertieften Untersuchung Informationen, die den Wissenstand erweitern, nicht schmälern. Auf den konkreten Fall bezogen: Wenn die Finma bereits im internen Bericht feststellt, dass die Probleme bei Lehman offensichtlich waren, kann diese Information durch weitere «Untersuchungen» nicht plötzlich verschwinden.

Sehr aufschlussreich ist folgende Passage des GPK-Briefs:

Gemäss der Finma ist es keineswegs ungewöhnlich, dass sich die Einordnung und Beurteilung eines Sachverhalts der Finma – insbesondere wenn es sich um einen grossen und komplexen Fall handelt – im Verlauf einer Untersuchung ändert.

Im Klartext: Der Sachverhalt veränderte sich durch die weiteren Ermittlungen nicht – aber die Einschätzung. Dies wohl vor allem deshalb, weil es sich um einen «grossen und komplexen Fall», will heissen, eine grosse und wichtige Bank handelt.

Wie wenig sich die GPK ganz grundsätzlich für den Fall interessiert hat, zeigt folgende Aussage:

Zur Überprüfung der Einhaltung des Gewährserfordernisses wurde das Verhalten der Bank in Bezug auf die einschlägigen obligationenrechtlichen Bestimmungen zum Vermögensverwaltungs-, Anlageberatungs- und Kontoführungs-/Depotvertrag im Lichte der Praxis des Bundesgerichts beurteilt.

Das stimmt nur beschränkt. Dort wo es entscheidend wird für den Anleger, äussert sich die Finma in ihrem öffentlichen Bericht nur sehr allgemein. Um nicht konkreter werden zu müssen, verweist sie für die Beurteilung von einzelnen Pflichtverletzungen (und das können nur obligationenrechtliche Pflichtverletzungen sein) auf die Zuständigkeit der Zivilgerichte.

Fragen an GPK und Finma

Kurz: Der Brief der GPK ist das Resultat eines Trauerspiels. Verschiedenste Fragen drängen sich auf. In Absprache mit Sabine Heinvirta und Matthias Schmid habe ich GPK und Finma diese Fragen schriftlich zugestellt.

Fragen an die GPK:

  1. Ist es richtig, dass die Finma der CS zur Beantwortung ihrer Fragen einen Fragebogen zugestellt hat und selber nie investigativ tätig war?
  2. Ist es richtig, dass die Finma die Resultate der CS-Untersuchung nur durch Befragungen von CS-Mitarbeitern verifiziert hat?
  3. Finden Sie es im Sinne der gesetzlich geforderten Unabhängigkeit in Ordnung, dass die Finma keine Anlage-Opfer befragt hat?
  4. Finden Sie es im Sinne der gesetzlich geforderten Unabhängigkeit in Ordnung, dass die Finma keine Anwälte von Anlageopfern befragt hat?
  5. Finden Sie es in Ordnung, dass die Finma den Verkauf von Kaupthing-Papieren nie untersucht hat und damit den Fall Lehman als Einzelfall darzustellen vermochte, obwohl auch mehrere hundert Kaupthing-Opfer bei der CS zu beklagen sind? (Die Aufsichtsbeschwerde behandelt die Fälle Lehman und Kaupthing in gleicher Weise.)
  6. Finden Sie es in Ordnung, dass auch in Ihrer Antwort kein Wort über den Fall Kaupthing zu lesen ist, obwohl sich die Aufsichtsbeschwerde von Sabine Heinvirta und Matthias Schmid (vom 28. Februar 2011) explizit um ebendiesen Fall dreht und mehrere hundert MitbürgerInnen zu Schaden gekommen sind?
  7. Heisst das, dass die Finma Untersuchungen gegen grössere Institute wie die CS stets mittels Selbst-Untersuchung der Betroffenen durchführt?
  8. Wie kommen Sie dazu, in Ihrem Brief falsche Angaben bezüglich obligationenrechtlichen Bestimmungen zu machen? Oder hat die Finma in ihrem Bericht dazu falsche Angaben gemacht?
  9. Wie ist es möglich, dass durch weitere Ermittlungen bereits gewonnene Informationen verloren gehen? Im konkreten Fall: Wie kann die im internen Finma-Bericht gemachte Feststellung, dass die Probleme bei Lehman offensichtlich waren durch weitere Ermittlungen verschwinden? (Diese initiale Erkenntnis beruhte auf Zeitungsartikeln, Börsennachrichten und -kursen etc., also auf Fakten, die nicht durch weiteres Nachforschen verschwinden können und noch heute nachvollziehbar sind). Wie können Sie sich das erklären?

Fragen an die Finma:

  1. Ist die Mitteilung der GPK bezüglich CS-Selbstuntersuchung so richtig?
  2. Ist es richtig, dass die Finma die Resultate der CS-Untersuchung nur durch Befragungen von CS-Mitarbeitern verifiziert hat?
  3. Weshalb sind keine Anlage-Opfer befragt worden?
  4. Weshalb sind keine Anwälte von Anlageopfern befragt worden?
  5. Weshalb hat man den Verkauf von Kaupthing-Papieren nicht untersucht und versucht festzustellen, ob es Parallelen zum Fall Lehman Brothers gibt?
  6. Führt die Finma Untersuchungen gegen grössere Institute wie die CS stets mittels Selbst-Untersuchung der Betroffenen durch?

Man darf gespannt sein, ob und wie GPK und Finma antworten werden. Fortsetzung folgt.

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in Banken, Justiz, Politik und getagged , , , . Bookmarken: Permanent-Link. Kommentieren oder ein Trackback hinterlassen: Trackback-URL.

Ihr Kommentar

Die Eingabe der Kontaktinformationen ist nicht nötig. Die Angaben helfen uns aber, bei Bedarf mit Ihnen in Kontakt zu treten. Ihre E-Mail-Adresse wird unter keinen Umständen veröffentlicht oder weitergegeben.

Sie können die folgenden HTML-Tags und Attribute verwenden: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>