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Hugo Stamm auf Abwegen
Der Absturz von MH17 gibt – natürlich – Anlass für wilde Verschwörungstheorien. Nicht nur auf diffusen Websites, auch in den Mainstream-Medien in Ost und West wird behauptet und gehetzt, ohne Rücksicht auf Fakten.
Und wie immer in solchen Situationen gefällt sich der eine oder andere Journalist darin, mitzuteilen, wie dumm und gefährlich Verschwörungstheorien sind (z.B. hier). Das jüngste Beispiel stammt aus der Feder von Sektenexperte Hugo Stamm. Was er mit seinem Text «Nährboden für Verschwörungstheorien» genau sagen will, bleibt ein Rätsel. Ebenso schleierhaft ist, wie der «Tages-Anzeiger» einen so plumpen, unlogischen Text veröffentlichen kann.
Stamm beginnt vielversprechend. Er schreibt:
Genau, denkt sich der Leser. Da hat einer erkannt, wo die grossen und gefährlichen Verschwörungstheorien meist herkommen: von Regierungen und Geheimdiensten. Schliesslich zählt Desinformation zum Kerngeschäft von CIA, MI6, Mossad, KGB und Co. Man erinnere sich nur an die «Beweise» bezüglich der Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins.
Statt diesen Strang weiterzuverfolgen – was im Zusammenhang mit MH17 höchst interessant wäre –, verliert Stamm den Überblick:
Stimmt, eine vergleichsweise harmlose Theorie. Aber: Stand nicht gerade vorher im Text, dass Verschwörungstheorien «keine harmlosen Spielchen von Phantasten oder Spinnern, sondern potente politische oder ideologische Instrumente» sind? Egal. Denn: Tatsächlich ist die Mondtheorie nur dann harmlos, wenn wir uns von ihr nicht unser Vertrauen in die Ehrlichkeit der USA verderben lassen. Das hätte dieser Hort der Demokratie nicht verdient. Man stelle sich vor, jemand könnte sogar soweit gehen, ernsthaft an US-Aussagen zu zweifeln. Pfui Teufel!
Erstens: Wer bitte sind «die» Verschwörungstheoretiker? Zweitens: «Betrieben» (Imperfekt) ist nicht wirklich richtig, die 9/11-Wahrheitsbewegung ist aktiver denn je – aus gutem Grund. Drittens: Auch Stamm kann es nicht lassen, sich der Antisemitismuskeule zu bedienen, um zu zeigen, wie verwerflich jemand ist, der eine offizielle Darstellung hinterfragt und alle Optionen prüft. Eine erstaunliche Haltung für einen Journalisten, der für seinen kritischen Geist bekannt ist.
Zu guter Letzt repetiert Stamm gängige Phrasen zur Erklärung dessen, was den gemeinen Verschwörungstheoretiker antreibt:
Herr Stamm, bloss weil Sie das so in Dutzenden von Texten zum Thema Verschwörungstheorien gelesen haben, ist es noch lange nicht richtig. Das Gegenteil stimmt: Verschwörungstheorien gehen in der Regel nicht von einem einfacheren, sondern von einem viel komplexeren Weltbild aus. Das einfache Bild (Gut gegen Böse) wird uns von den Regierungen in den USA, Russland usw. serviert. Die Verschwörungstheorie, genauer gesagt, die Suche nach alternativen Erklärungen, die glaubwürdiger sind, versucht das Geschehene in einem grösseren, häufig realeren Zusammenhang zu sehen.
Und spätestens hier macht Stamms Text keinen Sinn mehr. Denn, was stand schon wieder weiter oben? «Verschwörungen dienen dazu, Desinformation zu betreiben und Verwirrung zu stiften. Es sind keine harmlosen Spielchen von Phantasten oder Spinnern, sondern potente politische oder ideologische Instrumente.»
Was solls. Stamm beschliesst seinen Text mit:
Um beim Beispiel 9/11 zu bleiben: Wo verbirgt sich hinter der Befürchtung, ein militärisch-industrieller Komplex aus den USA könnte hinter 9/11 stecken, eine «kindlich-naive Sehnsucht nach einer heilen Welt»? Diese Sehnsucht wird eher von der offiziellen Darstellung (böser Osama bin Laden vs. gute USA) befriedigt. Zudem haben Chaos und Konflikte ohnehin eine Fratze, egal, wer wen weshalb tötet und wer weshalb welche Theorie verbreitet.
Herr Stamm, bleiben Sie bei Ihren Leisten. Schreiben Sie über Sekten und Religion.