Das Gros der Medienschaffenden ist sich einig: Roger Köppels neue Rolle als SVP-Nationalrat ist mit seinem Beruf nicht vereinbar, seine politische Aktivität eine journalistische Bankrotterklärung. Köppel wird jede Unabhängigkeit und Objektivität abgesprochen. Meines Erachtens zu Recht.
Nur: Was unterscheidet Roger Köppel von vielen anderen Journalisten, die sich auf Twitter und Facebook zu allem und jedem äussern und so ihre politische Position millimetergenau angeben? Bei Licht betrachtet: wenig. Köppel macht Parteipolitik (jetzt sogar im Nationalrat), die meisten Anderen «nur» Politik.
Dabei ist «nur» häufig schon problematisch. Es scheint, als ob viele Journalisten ihre eigentliche Rolle – ein möglichst objektiver, analysierender Beobachter zu sein – aus den Augen verloren haben. Journalisten erlauben sich heute nicht nur eine politische Meinung – was richtig und wichtig ist –, sie erachten es als notwendig, diese in Sozialen Medien bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit kundzutun. Gerade jetzt, rund um die National- und Ständeratswahlen, scheint dieses Bedürfnis ausgeprägt. Jedenfalls kriegt, wer auf Twitter dem einen oder anderen Journalisten folgt, ein politisch motiviertes Statement nach dem anderen in die Timeline gespült.
Noch problematischer – um es harmlos auszudrücken – sind Pöbeleien. Einige (nicht alle) beteiligen sich am merkwürdigen Wettbewerb um den coolsten Tweet, um den «lustigsten» Witz auf Kosten des politischen Gegners. Zur Illustration drei willkürlich gewählte Beispiele.
1. Réda El Arbi**, verantwortlicher Redaktor des «TagesAnzeiger»-Stadtblogs. Er twitterte:
Einen Bösen noch: «Liebe SVP, wie wollen Sie den hohen Wähleranteil die nächsten Jahre halten?» «Wir kürzen das Bildungsbudget.»
Auf die zugegebenermassen dumme Antwort eines anderen Twitteres schrieb El Arbi:
Naja, trotz Schäden immer noch doppelt soviel Hirn wie du, du armes Würstchen 😉
2. Matthias Daum, Leiter des Schweizer Büros von «Die Zeit». Er twitterte:
Liebe Berner. Wie wäre es mit folgendem Deal: YB kriegt einen Titel, ihr überlegt euch dafür das mit dem Erich Hess nochmals, ok?
3. Markus Schär, Bundeshausredaktor der «Weltwoche». Er twitterte an die Adresse des Grünen Bastien Girod:
Ok, das gibts, ich weiss. Aber auch Legastheniker können beim Schreiben (und beim Denken) eine gewisse Sorgfalt walten lassen.
Wer soll Journalisten, die sich in Sozialen Medien politisch einseitig positionieren, noch als objektive Berichterstatter akzeptieren? Wer soll Journalisten, die öffentlich gegen politisch anders Denkende pöbeln, noch ernst nehmen? Wer kann ihre Berichterstattung unter diesen Vorzeichen noch als ausgewogen betrachten?
Klar, es gilt auch hier zu differenzieren. Wenn z.B. die «Weltwoche»-Schreiber Markus Schär und Alex Baur auf Twitter plump politisieren, ist das weniger problematisch. Wir wissen, dass es in ihrer Zeitung nicht in erster Linie um Journalismus, sondern um Politik geht. Aber Matthias Daum, Réda el Arbi et al.? Sie schreiben für «Die Zeit», den «TagesAnzeiger» und ähnlich positionierte Medien. Da erwartet der Leser objektiven Journalismus.
Umso schlimmer ist diese Entwicklung, als gerade in Zeiten politischer Polarisierung von Seiten der Medien eine gewisse Souveränität gefragt wäre. Gefragt wären Leute, die nicht Teil der politischen Auseinandersetzung sind, sondern diese mit der nötigen Distanz kritisch begleiten.
** Richtigstellung: Réda El Arbi ist in erster Linie freier Blogger und nur bedingt als «Journalist» zu bezeichen.
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