Selbst mit ein paar Tagen Abstand: Es ist unfassbar, was in den USA gerade passiert ist. Es ist unfassbar, dass jemand mit Hass, Diffamierung und unhaltbaren Versprechen als einzigen Programmpunkten Präsident werden kann.
Es ist unfassbar, aber nicht überraschend. Unfassbare Sieger wie Trump sind möglich, wo Fakten und Respekt bei breiten Teilen der Bevölkerung nichts mehr gelten, sie sind möglich, wo breite Teile der Bevölkerung einfachste Zusammenhänge nicht erkennen. Also überall. Überall heissen die Sieger dann Blocher, Petry, Le Pen und eben Trump.
Unfassbar ist allerdings auch, was sich rund um diese Wahl beobachten liess und lässt. Dabei geht es in erster Linie um das Verhalten der Medien. Aber nicht nur. Es geht auch darum, wie sich Linke, insbesondere linke Frauen, positioniert haben. Es geht darum, wie man sich über Trumps Stil empört, aber selber jeden Respekt vermissen lässt.
Unfassbar und beängstigend ist, wie schnell sich die endlosen Möglichkeiten des Internets in ein Problem für die Demokratie verkehrt haben. Die oft gestellte Frage, ob heute häufiger und unverschämter gelogen und diffamiert wird als früher, ist müssig weil nicht beantwortbar. Sicher ist: Das Internet hat die Verbreitung von Lügen und Diffamierungen beträchtlich erleichtert.
Unfassbar und gefährlich ist, wie wenig Diskriminierung stört. Hier, ebenso wie in den USA, ist es kein Problem, offen gegen Andersfarbige und Minderheiten zu hetzen. Hier, ebenso wie in den USA, finden Parteien und Politiker Mehrheiten, weil sie hetzen. Auch diesbezüglich sind die Ursachen vor allem online zu finden: Jeder findet mit wenigen Klicks, was in sein Weltbild passt. Viele bewegen sich nur noch in jenen Kreisen bzw. auf jenen Websites, die ihnen entsprechen. So haben sich Parallelwelten gebildet. Nie war es einfacher, die Mitglieder einer Glaubensgemeinschaft mit dem Stoff zu versorgen, den sie brauchen. Egal, ob es um Religion, Essgewohnheiten, Politik oder Rassendenken geht.
Unfassbar ist immer wieder, wie realitätsfremd – um nicht zu sagen dumm – die Leute sind. Milliardäre wie Trump oder Blocher zu wählen, um dem Establishment eins auszuwischen, ist, als würde man den Metzger wählen, um dem Veganismus zum Durchbruch zu verhelfen. Milliardäre wie Trump oder Blocher zu wählen, um dem Mittelstand Gehör zu verschaffen, bedarf einer Ignoranz, die kaum vorstellbar ist.
Unfassbar ist die Doppelmoral, mit der Europa Trump verurteilt. Wir enervieren uns über seine Pläne, eine Mauer zu Mexiko zu bauen – und ziehen die Zäune rund um Europa hoch. Wir entsetzen uns über Trumps Empathielosigkeit – und lassen Tausende von Flüchtlingen im Mittelmeer ertrinken. Wir verurteilen seinen Sexismus – und schaffen es immer noch nicht, gleiche Löhne für gleiche Leistung zu zahlen.
Unfassbar ist trotz Trump, wie einseitig die Mehrheit der Medien diesen Wahlkampf und angrenzende Themen begleitet hat, wie wenig Ausgewogenheit – oder das Bemühen darum – heute noch gilt. Anschauungsmaterial liefern nicht nur Extremdarsteller wie Fox News oder Weltwoche. Ein Blick in den Blick oder die NZZ genügt. Da geht es oft nicht mehr um Tatsachen und Meinungen, sondern um Weltanschauungen, um Gut und Böse. Da ist selbst eine mögliche Annäherung der Trump-USA an Russland des Teufels.
Unfassbar und verstörend ist, wie sich viele Schweizer Journalisten öffentlich für Hillary Clinton stark gemacht haben – eine Politikerin, die sämtliche US-Kriege der letzten Jahre mitgetragen hat, die das US-Drohnenprogramm mitträgt, deren Rolle im Vorfeld des Libyen-Kriegs zumindest sehr zweifelhaft ist. Das Argument, sich für Clinton und gegen Trump aussprechen zu müssen, um dem kleineren Übel zum Erfolg zu verhelfen, läuft ins Leere: Schweizer Journalisten hatten, im Gegensatz zu US-Journalisten, keinen Einfluss auf den Wahlausgang. Es gab und gibt also hierzulande keinen Grund, Hillary Clinton in ein allzu gutes Licht zu stellen.
Unfassbar ist seit Jahren, wie sich der europäische Journalismus den USA anbiedert. Da ist eine Begeisterung zu spüren, die man sonst nur aus dem Sportbereich kennt. In der Berichterstattung rund um diese Wahl wurden Liebesbriefe geschrieben, Drohnenmorde als Stabilisierungsmassnahme gedeutet, Regime-Change-Kriege als Demokratieexport verklärt. Der Leitspruch «Du sollst dich mit keiner Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten» ist höchstens eine ferne Erinnerung – ganz abgesehen davon, dass diese Sache keine gute ist. Zur Erinnerung: Es geht um ein Land, das seit 1945 mit seiner Interventionspolitik für schätzungsweise 20 bis 30 Millionen Tote gesorgt hat.
Unfassbar und bezeichnend ist, wie sich die Medien in den Tagen seit Trumps Wahl mit Analysen überbieten. Selten sind Interpretationen und Prognosen so «vielseitig» ausgefallen. Die Einen reden von Faschismus, die Anderen sehen in Trumps Abkehr von diversen Wahlversprechen bereits Anzeichen für einen versöhnlichen Präsidenten. Beides ist Blödsinn, beides Zeichen der ewigen Suche nach Schlagzeilen, die Klicks generieren. Geben wir doch einfach zu: Wir haben keine Ahnung, was die Präsidentschaft Trumps bringen wird. Und wir haben keine Ahnung, was wir Leuten, die Trump, Blocher oder Petry wählen, entgegen setzen sollen.
Unfassbar aber wenig überraschend ist, dass viele Leute in den letzten Jahren ihren moralischen Kompass verloren haben. Kein Wunder: Wenn Sex-Prahlereien die hundertfach höhere mediale Beachtung finden als Drohnenmorde, geraten Relationen längerfristig ins Wanken. Wenn Medien nicht mehr Fakten diskutieren und inhaltliche Differenzen zwischen Kandidaten herausarbeiten, sondern Lügen vervielfältigen, Diffamierungen multiplizieren und demjenigen am meisten Raum gewähren, der am lautesten schreit, ist es wenig überraschend, wenn am Ende Trump, Blocher oder Petry rauskommen.
Unfassbar ist trotzdem, wie naiv sich viele Linke, vor allem linke Frauen, mit Hillary Clinton solidarisieren. Da ist nicht mehr von Frau Clinton die Rede, sondern von «Hillary». Die gleichen Linken (Frauen), die sich (mit Recht) gegen die Fremdenfeindlichkeit der SVP stark machen, die wissen, wie wichtig Menschenrechte sind, haben kein Problem mit «Hillarys» Interventionspolitik, mit ihrer Unterstützung des Drohnenprogramms, mit ihrer Nähe zur Wallstreet, mit ihrer Haltung zu Todesstrafe, zu Whistleblowern usw. Klar, Hillary Clinton wäre innenpolitisch, z.B. für die Gleichstellung der Frau, die bessere Wahl gewesen. Das allein rechtfertigt nicht, über alles Andere hinwegzusehen.
Unfassbar ist aber so oder so, dass Hillary Clinton diese Wahl auch deshalb verloren hat, weil sie eine Frau ist. Man stelle sich vor, eine Frau würde mit ihren Steuertricks, mit ihrem Fremdgehen, mit ihrer unbändigen Lust prahlen. Man stelle sich vor, was los gewesen wäre, Hillary Clinton hätte den famosen «Grab them»-Satz gesagt …
Unfassbar ist der Ton, in dem auch in der Schweiz «diskutiert» wird. Wer sich trotz Trump für eine realistische Sicht auf Hillary Clinton aussprach, wurde aufs Übelste verunglimpft. Da waren Unterstellungen wie «gib doch zu, dass du Trump wählen würdest» noch die harmlosesten. Mir wurden wahlweise braune Gesinnung, Verschwörungstheorien oder die Intelligenz eines Kleinkindes vorgeworfen. Viele, die Trump für seine Diffamierungen verurteilen, diffamieren selbst gnadenlos. Sie tragen damit im Kleinen dazu bei, dass der Ton eines Trump normal wird. Und dass Leute wie Trump, Blocher oder Petry im Grossen die Sieger sein können.
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