Stefan von Bergen: von der Rolle

Jean Ziegler hat ein neues Buch geschrieben. «Wir lassen sie verhungern» heisst es. Und es ist offenbar provokativ wie alles, was der Mann publiziert.

Philipp Löpfe, Autor und Wirtschaftsjournalist, ehemaliger Chefredaktor des SonntagsBlick und des Tages-Anzeigers, hat Ziegler Anfang Oktober interviewt. Keine einfache Aufgabe, die Löpfe vorbildlich löst: Er gibt einen Überblick, worum es im Buch geht, er fühlt Ziegler auf den Zahn, versucht herauszufinden, wo der Provokateur übertreibt, wo er seine Aussagen mit Fakten belegen kann, wo nicht. Löpfe tut, was für einen Journalisten in dieser Situation möglich und richtig ist.

Löpfes Text war/ist auch auf der Newsnetz-Seite der Berner Zeitung zu lesen. Für ihre Printausgabe hat die BZ jetzt noch einmal nachgelegt. Zeitpunkt-Redaktor Stefan von Bergen hat sich Jean Ziegler vorgeknöpft – im wahrsten Sinn des Wortes.

Von Bergen «verkauft» sein Interview als «Wortgefecht». Was folgt, verdient eher die Bezeichnung «Kommentar» und ist, wenn überhaupt, ein Wortgefecht im schlechtesten Sinn. Wir lesen nicht den konstruktiven Austausch zweier, die beide etwas von der Sache verstehen und sich mit ihrem Wissen herausfordern. Wir lesen den frontalen, persönlichen Angriff eines Journalisten auf sein Gegenüber, faktenlos, respektlos.

Schnell wird klar, dass es von Bergen nicht um Zieglers Buch, nicht um den Welthunger, nicht um eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Phänomen Ziegler geht. Es geht darum, den Provokateur blosszustellen, es geht um Selbstdarstellung. Von Bergens Ton ist rüde, sachliche Argumente suchen wir vergebens.

Am Ende der Lektüre haben wir zwar knapp mitgekriegt, worum es im Buch geht. Aber wir haben keine Ahnung, ob an den Aussagen Zieglers etwas dran ist oder nicht. Dafür haben wir umso mehr über Stefan von Bergen erfahren. Gleich zu Beginn des Texts lässt er uns wissen, was er von Zieglers Engagement als UNO-Sonderberichterstatter in Sachen Hunger hält. Er fragt:

Wer zahlt denn Ihre ständigen Reisen um den Erdball? Die UNO? Oder gar die Schweiz?

«Ständigen»? Findet von Bergen den Einsatz der UNO unnötig? Das ist sein gutes Recht, interessiert uns aber nicht. Wenig später sagt er:

Sie hauen rhetorisch gern auf die Pauke. Überhaupt lässt einen Ihr drastisches Buch ganz ohnmächtig zurück. Sie machen ein Geschäft mit dem schlechten Gewissen Ihrer Leser.

Von Bergen unterstellt Ziegler, es gehe ihm ums Geld. Auf welcher Basis bleibt ein Rätsel. Zudem stellt sich die Frage: Ist ein Buch, das Missstände aufdeckt und uns ein (evtl. berechtigtes) schlechtes Gewissen macht, per se falsch und Geldmacherei?

Mit Fortdauer des Interviews nimmt von Bergens «kritische Haltung» immer sonderbarere Züge an. Wenn Ziegler erklärt:

Dagegen können Sie als Bürger sehr viel tun, indem Sie etwa die Juso-Initiative für ein Verbot der mörderischen Börsenspekulation auf Nahrungsmittel unterstützen.

… entgegnet von Bergen:

Man kann doch das Hungerproblem nicht mit Initiativen in der kleinen Schweiz lösen.

Die totale Bankrotterklärung. Heisst das, wir sollen uns hierzulande um gar nichts mehr kümmern, nicht einmal mehr gegen den Hunger kämpfen? Das sind Töne, die wir sonst nur von ganz weit rechts hören.

Wenn Ziegler sagt:

Ich hoffe auf eine internationale Bewegung, die die Bürger der Herrschaftsstaaten erwachen lässt.

… erwidert von Bergen:

Eine klassisch linke Hoffnung.

«Klassisch» im Sinn von «naiv»? Ein Wunder, dass von Bergen hier nicht den linken Gutmenschen bemüht.

Wenn Ziegler seine Sysiphus-Mentalität mit einem klugen Zitat erklärt …

Che Guevara hat gesagt: «Auch die stärksten Mauern fallen durch Risse.»

… stellt von Bergen fest:

Che Guevara ist umstritten und schon lange tot.

Wow, was für eine surreale Antwort. Aufruf an alle: Bitte keine umstrittenen Toten zitieren!

Wenn Ziegler sagt:

Die Finanzoligarchien und die multinationalen Konzerne haben eine Macht angehäuft, wie sie kein Kaiser, König oder Papst je innehatte. Aber immer mehr Menschen im Norden erkennen, dass im Süden die Leichenberge der Hungertoten wachsen.

… entgegnet von Bergen:

Danke für diese apokalyptische Globalisierungskritik.

Wenn Ziegler feststellt:

Im FAO-Report steht auch, dass die Weltlandwirtschaft problemlos 12 Milliarden Menschen ernähren könnte. Ein Kind, das jetzt, wo wir zusammen reden, an Hunger stirbt, wird ermordet.

… erwidert von Bergen:

Was für ein Beschuldigungskurzschluss! Ihre Anwälte würden sich bekreuzigen.

Wenn Ziegler Jean-Paul Sartre zitiert, fragt von Bergen:

Haben Sie eigentlich die Zitate Ihrer Idole auswendig gelernt?

Wenn Ziegler klarstellt:

Es stimmt, Stalin war ein fürchterlicher Verbrecher. Aber mit Sozialismus hatte er überhaupt nichts zu tun.

… macht von Bergen sofort deutlich, wer der Sozialismus-Spezialist ist:

Stalin zeigt, dass Sozialismus ohne Repression nicht geht.

Wenn Ziegler seinen eigenen Werdegang beschreibt:

Dann lernte ich in Paris über eine kommunistische Jugendorganisation Jean-Paul Sartre kennen.

… stellt von Bergen fest:

Ihr Halbgott.

Und so weiter und so fort. Erhellend ist auch ein Ausschnitt aus dem Kasten. Da steht:

Auch in der Heimat wird der Nestbeschmutzer bewundert. Gerade pilgern die Fans wieder in Scharen an seine Lesungen.

«Nestbeschmutzer»? «Pilgernde Fans»? Despektierlicher gehts kaum mehr.

Stefan von Bergen ist von der Rolle – von seiner Rolle als Journalist. Wo er nicht selbst Experte (wie zum Beispiel in Sachen Kanton Bern) oder zumindest gut gebildet ist, ist seine Aufgabe als Journalist diejenige des Fragenstellers und kritischen Hinterfragers. Seine persönliche Meinung interessiert uns nicht, sie hat im Blatt nichts zu suchen.

Man wird den Eindruck nicht los: Stefan von Bergen spricht zwar mit Ziegler über Ziegler (statt den Hunger), aber letztendlich geht es vor allem um Stefan von Bergen. Er will uns zeigen, wie kritisch er ist, wie respektlos er «Grossen» gegenübertritt, wie wenig er linken und idealistischen Vorstellungen nachhängt, wie undogmatisch er ist.

Wie gesagt: Eigentlich wäre es in diesem Text um Jean Ziegler, sein neues Buch und vor allem den Welthunger gegangen. Herausgekommen ist etwas ganz Anderes.

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