Wer sich in der Berichterstattung zur Ukraine-Krise und zum Kampf gegen den IS umschaut, findet – einige fundierte Beiträge ausgenommen – vor allem einseitigen Nonsense, Kriegstreiberei und Verschwörungstheorien. Doch egal ob ausgewogen oder tendenziös, ein wichtiger Aspekt der Konflikte geht meist vergessen: wirtschaftliche Interessen.
Marc Pitzke, US-Korrespondent des Spiegels, ist einer der wenigen deutschsprachigen Journalisten, die darüber berichten, wie lukrativ der neuerliche Kampf gegen islamische Extremisten ist. Er schreibt:
Krieg gegen die Terrormiliz IS: Darüber dürften sich vor allem US-Rüstungskonzerne und private Sicherheitsfirmen freuen. Sie versprechen sich von neuen Militäraktionen im Irak oder in Syrien Milliardengeschäfte.
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Am meisten hofften die privaten Vertrags- und Sicherheitsfirmen auf neue Kriegsprofite. Allein 2010 zahlte das Pentagon diesen oft suspekten Schattenakteuren 140 Milliarden Dollar für ihre Dienste. Sie arbeiteten als IT-Experten, Logistikmanager, Verhörführer – und paramilitärische Kämpfer.
Mit dem Ende des Irakkriegs und dem Abzug aus Afghanistan drohte diese Gewinnquelle aber zu versiegen. Befanden sich im ersten Quartal 2014 noch mehr als 78.000 US-Vertragsarbeiter in Afghanistan, sind es im dritten Quartal nur noch knapp 51.000. Zum Vergleich: 2008 beschäftigten die USA weltweit 242.558 Zivilangestellte in Kriegsgebieten.
Da kommt ihnen der IS-Einsatz nun wie gerufen. «Die Industrie war sehr besorgt», berichtet McFate, der ein Buch geschrieben hat über seine Erfahrung als US-Vertragsarbeiter. «Viele brauchen neue Arbeit.»
Was für den Kampf gegen den IS gilt, gilt natürlich auch für den Konflikt in der Ukraine. Michail Gorbatschow (1985–1991 Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion; 1990–1991 Staatspräsident der Sowjetunion) weiss, wie der internationale Hase läuft. Am 17. September sagte er in der SRF-Rundschau:
Kreise, die an der Aufrüstung interessiert sind, erwecken den Anschein, dass die Lage beängstigend sei.
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Viele Länder fangen an, Waffen einzukaufen, Kanonen, Massenvernichtungswaffen usw. Die allergrösste Gefahr geht von einem militärisch-industriellen Komplex aus.
Heute meldet der Tagesanzeiger:
Neue Bomber, U-Boote und Raketen: Die USA planen Investitionen von bis zu einer Billion Dollar in ihr atomares Arsenal. Trotz Obamas Vision von einer «Welt ohne Atomwaffen».
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Für Insider ist der Auslöser jedoch klar: «Putins Invasion in der Ukraine» habe die Ausgangslage komplett verändert, zitiert die «New York Times» Gary Samore, Obamas wichtigsten Berater in Atomfragen während seiner ersten Amtszeit. Eine einseitige Abrüstung der USA sei jetzt nicht mehr möglich.
Im Klartext: «It’s the economy, stupid!» Bill Clintons Slogan im US-Präsidentschaftswahlkampf 1992 trifft den Nagel auch jetzt wieder auf den Kopf. Es geht um Wirtschaft, nicht ausschliesslich, aber vor allem. Damals, heute, immer. Auch im Krieg.
Sie denken, das tönt zu extrem? Dann unterschätzen Sie die Macht des militärisch-industriellen Komplexes. Er ist zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige geworden, weltweit. Auf 3Sat war 2010 zu lesen:
Die weltweiten Militärausgaben betragen bis 2010 rund 1,33 Billionen Euro.
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Die Tod bringende Rüstungsindustrie ist das lukrativste Geschäft überhaupt. Für über 305,5 Milliarden Euro werden 2010 weltweit Rüstungsgüter gehandelt.
So ist es nicht erstaunlich, dass Konfliktherde ewig schwelen, dass wir Krieg um Krieg erleben. Wer gehofft hat, die Menschheit gehe friedlicheren Zeiten entgegen, der wird enttäuscht. Das Gegenteil passiert und wird weiter passieren. Die Rüstungsindustrie ist zu wichtig und zu mächtig geworden. Der Historiker und Politikwissenschaftler Jacques R. Pauwels schrieb 2003:
Bush declared war not on a country but on terrorism, an abstract concept against which one cannot really wage war and against which a definitive victory can never be achieved. However, in practice the slogan «war against terrorism» meant that Washington now reserves the right to wage war worldwide and permanently against whomever the White House defines as a terrorist.
And so the problem of the end of the Cold War was definitively resolved, as there was henceforth a justification for ever-increasing military expenditures. The statistics speak for themselves. The 1996 total of 265 billion dollar in military expenditures had already been astronomical, but thanks to Bush Junior the Pentagon was allowed to spend 350 billion in 2002, and for 2003 the President has promised approximately 390 billion.
Der lukrative Krieg gegen den Terror ersetzte also den lukrativen Kalten Krieg. Was aus wirtschaftlicher Sicht dringend nötig war, denn das Problem ist, vor allem in den USA, ganz grundsätzlicher Natur. Paul B. Farrell, Spezialist für Verhaltensökonomik und Buchautor, stellte 2008 in der Marketwatch des Wall Street Journal fest:
Yes, America’s economy is a war economy. Not a «manufacturing» economy. Not an «agricultural» economy. Nor a «service» economy. Not even a «consumer» economy.
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… all the while silently, by default, we’re cheering on our leaders as they aggressively expand «America’s Outrageous War Economy,» a relentless machine that needs a steady diet of war after war, feeding on itself, consuming our values, always on the edge of self-destruction.
Das mag übertrieben klingen. Jedoch nur, wenn man nicht zwischen Wirtschaft und Wirtschaft unterscheidet. Jacques R. Pauwels erklärte es folgendermassen:
Some experts claim that wars are actually bad for the American economy. This is partly correct, but also partly false. It all depends about which economy, about whose economy one is talking. For the economy of average Americans, the war in Iraq is definitely a catastrophe, because they will pay its huge bills.
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For the military-industrial complex, for the economy of the Bushes, Cheneys, Rices, Rumsfelds, etc., for the economy of the oil trusts and weapons manufacturers, for the economy of the wealthy Americans who own the shares of these trusts and corporations, this war – like wars in general – is nothing less than wonderful. Because they will pocket the profits that wars generate as profusely as the death and destruction that will befall others. Their economy thrives on war, their «warfare economy» cannot function without war. This is why Bush must continue to find new enemies for America, continue to conjure up new threats, continue to wage war. If peace might ever break out in the world, it would be nothing less than a catastrophe for the economy of Bush’s America.
Selbstverständlich können Sie den Namen Bush durch Clinton, Obama oder wie auch immer ersetzen …
Für den militärisch-industriellen Komplex bleibt es nicht allein beim Krieg führen. Auch der Wiederaufbau ist meist fest in den «richtigen» Händen. 3Sat schrieb dazu:
Auffällig ist, dass die Amerikaner schon kurz nach der Eroberung Bagdads die Ölfelder sichern. Sie bauen 14 dauerhafte Militärbasen, die genau entlang der Ölpipeline liegen. Profiteur des Krieges ist der Konzern Halliburton, die größte Ölfeld-Dienstfirma der USA. Sie darf die zerstörten Förderanlagen auf den Ölfeldern exklusiv reparieren. US-Vizepräsident Dick Cheney stand vor seinem Amtsantritt der Firma als Geschäftsführer vor.
Bei Marc Pitzke tönte das 2007 so:
Auch die Wall Street starrt gebannt auf Washington, wo General David Petraeus heute vor dem Kongress seinen Irak-Bericht abgibt. Denn viele Konzerne profitieren vom US-Engagement – angefangen von den Rüstungsriesen bis hin zum verschwiegenen Private-Equity-Sektor.
(…)
Seinen größten Erfolg aber verdankt Veritas dem Irak-Krieg. Die Firma an der Madison Avenue investiert nämlich meist in Rüstungs-, Aerospace- und Sicherheitskonzerne wie Aeroflex, Athena und DynCorp. In ihrem «Verteidigungsbeirat» sitzen Kriegsexperten wie der frühere Vize-Verteidigungsminister Richard Armitage und die pensionierten US-Generäle Barry McCaffrey und Anthony Zinni.
Deshalb starren heute nicht nur Politiker und einfache Bürger auf Washington, wo General David Petraeus vor dem Kongress seinen Irak-Bericht abgibt und damit die künftige Marschrichtung im Irak mit definiert. Auch die Wall Street ist gespannt – denn das Schicksal vieler Konzerne ist finanziell eng an den Irak-Krieg gebunden.
(…)
Platz eins ist keine Überraschung: Halliburtons KBR, mit nach Angaben von Eagle Eye insgesamt 17,2 Milliarden Dollar Umsatz aus spezifisch für den Irak erstellen Gütern und Dienstleistungen seit 2003. KBR ist der größte US-Anbieter von Bau-, Wartungs-, Planungs- und Entwicklungsservices im Energiesektor. Im Irak baut es mit 14.000 Angestellten Soldatenunterkünfte und Stützpunkte, repariert Ölfelder und steuert Logistik- und Infrastrukturprojekte. Allein 2006 kamen, wie der letzte Geschäftsbericht stolz vermerkte, 45 Prozent (4,3 Milliarden Dollar) des gesamten KBR-Umsatzes (9,6 Milliarden Dollar) aus dem Irak.
«Repeat forever …»
Bleibt die Frage, wieweit Konflikte vom militärisch-industriellen Komplex und seinen Vertretern in den Regierungen dieser Welt nicht nur genutzt, sondern bewusst initiiert und/oder bewusst am Leben erhalten werden. Ein heikles Thema …
Wies läuft, lässt sich am einfachsten am Drohnenkrieg Barack Obamas erklären. Die Frage: Was bringt den Friedensnobelpreisträger dazu, in Pakistan, Afghanistan und Jemen Bomben abzuwerfen und Hunderte von Kindern, Frauen, Unschuldigen zu opfern? Kann es aus strategischer Sicht tatsächlich sinnvoll sein, zwar einzelne «Feinde» zu töten, aber durch die Hunderten von Kollateral-Toten Tausende neuer US-Feinde zu schaffen?
Auf den ersten Blick: wohl kaum. Auf den zweiten Blick: ja klar. Es geht darum, nie ein Vakuum an Feinden für die USA und ihre Verbündeten entstehen zu lassen. Nur gefährliche, brutale Gegner rechtfertigen die horrenden Ausgaben für Rüstung, rechtfertigen Militärbasen in aller Welt, rechtfertigen globalen Einsatz für die «Sicherheit» des eigenen Landes.
Das sieht auch Glenn Greenwald, der NSA-Whistleblower Edward Snowden in die Medien brachte, so. Er schreibt zum Einsatz gegen den IS:
Six weeks of bombing hasn’t budged ISIS in Iraq, but it has caused ISIS recruitment to soar. That’s all predictable: the U.S. has known for years that what fuels and strengthens anti-American sentiment (and thus anti-American extremism) is exactly what they keep doing: aggression in that region. If you know that, then they know that. At this point, it’s more rational to say they do all of this not despite triggering those outcomes, but because of it. Continuously creating and strengthening enemies is a feature, not a bug, as it is what then justifies the ongoing greasing of the profitable and power-vesting machine of Endless War.
Oder, um es in den Worten eines Twitterers noch plakativer, aber treffend, zu sagen:
1. Bomb a country
2. Bomb radicals created by bombing that country.
3. Bomb radicals created by bombing 1st radicals.
4. Repeat forever …
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