Drei Monate ist es her, seit «Schweiz am Sonntag»-Chefredaktor Patrik Müller erstmals über die Nacktselfies von Geri Müller berichtete. Drei Monate, in denen mehr als klar geworden ist, dass sich Geri Müller nichts rechtlich oder politisch Relevantes hat zuschulden kommen lassen.
Trotzdem geht die Berichterstattung unvermindert weiter. Vereinzelt aus gutem Grund, zum Beispiel wenn vorliegende Chatprotokolle analysiert werden (1, 2, 3), meistens aber einzig und allein um mitzuteilen, wieso Geri Müller endlich zurücktreten soll. Empörungsbewirtschaftung nennt sich das im Fachjargon.
Jene Medien, die am lautesten gegen Geri Müller schreien, sind auch jene, die ihr politisches Heu nicht auf derselben Bühne haben: Aargauer Zeitung und NZZ. Offensichtlich geht es ihnen schon lange nicht mehr um Nacktselfies, sondern nur noch darum, den Nationalrat, Badener Stadtammann und Israelkritiker loszuwerden. Um jeden Preis – sogar auf Kosten journalistischer Glaubwürdigkeit.
Aargauer Zeitung: «Raus aus den Köpfen»
Vorgestern hat die Aargauer Zeitung mit Peer Teuwsen schweres Geschütz aufgefahren. Teuwsen ist Leiter publizistische Projekte bei der «NZZ», davor war er verantwortlich für die Schweiz-Ausgabe der «Zeit». Er ist zudem Co-Autor des Buchs «Wer regiert die Schweiz?» – ein Mann also, der weiss, wie der journalistische Hase läuft. Teuwsen schreibt:
Ist die Stadt Baden wirklich derart blockiert, weil das Privatleben ihres Ammanns öffentlich gemacht wurde? Es scheint so. Denn es gibt – auch Monate nach der Bekanntgabe von etwas, das niemals hätte bekannt werden dürfen – kein anderes Thema in der Stadt. Wer samstags auf den Markt geht, abends ins Theater und danach ins «Bahnhöfli» zum Bier, kann den Anspielungen, den Flüstereien, den Zukunftsszenarien nicht ausweichen. Und wer sich als Badener in der Restschweiz outet, sieht sich auch sofort mit einem süffisanten Lächeln oder gar einem dreckigen Lachen konfrontiert.
Eine masslose Übertreibung, die nur dazu dient, die Dringlichkeit der anschliessenden Forderung zu untermauern. Diese lautet:
Geri Müller ist in unseren Köpfen. Und er muss da wieder raus.
(…)
Geri Müller muss ein Opfer bringen, er muss als Ammann zurücktreten. Wir alle müssen eine neue Wahl treffen. Und zwar jetzt. Unseren Köpfen, unserer Stadt zuliebe.
«Geri Müller ist in unseren Köpfen» – das ist alles, was Peer Teuwsen Geri Müller vorwerfen kann. Es reicht aber allemal, um eine politisch motivierte Kampagne zu unterstützen und den Rücktritt zu fordern.
Wie war das schon wieder mit dem Huhn und dem Ei, Herr Teuwsen? Könnte die empörte Dauerberieselung durch gewisse Medien zu «den Anspielungen, den Flüstereien, dem süffisanten Lächeln, dem dreckigen Lachen» beigetragen haben? Könnte Ihr Text dazu beitragen, Geri Müller noch tiefer und noch negativer in die Köpfe der Leute zu bringen?
Diese Frage scheint Peer Teuwsen nicht zu interessieren. Dabei trägt gerade er, als angesehener Journalist, Verantwortung dafür, wie die Dinge da draussen wahrgenommen werden. Seine Aufgabe wäre es, gegen die Empörungsbewirtschaftung anzuschreiben. Er hätte alles fordern können, nur nicht den Rücktritt jenes Mannes, der nichts Relevantes falsch gemacht hat.
Doch Peer Teuwsen versteht die Kritik an seinem Text nicht. Auf den Tweet von Carmen Epp …
Was ich mich frage: Wie kams zu dem Text? Deine Idee? Auftrag? Und wieso gerade Du?
… antwortete er:
Ich staune. Aber dann halt: kein Auftrag. Ich lebe hier. Ich schreibe, was mich beschäftigt. Ab und an.
Und:
Ich gebs auf. Vielleicht kann das nicht verstehen, wer nicht hier wohnt. Oder ich habe mich schlecht ausgedrückt.
Nein, ich kann das nicht verstehen. Was spielt es für eine Rolle, ob man dort wohnt? Die Frage ist doch einzig und allein, ob «Journalismus» à la Patrik Müller zum Erfolg führen soll. Mit seinem Text trägt Teuwsen dazu bei, dass Geri Müllers «Verfehlungen» ein Thema bleiben – und er wohl irgendwann gehen muss.
NZZ: Von «Märchenonkeln»
Noch plumper als die Aargauer Zeitung legt die NZZ zu #gerigate nach. René Zeller, stv. Chefredaktor und Mann fürs Grobe, nimmt das Theater um Margret Kiener Nellens Steuererklärung zum Anlass, auch gegen Geri Müller zu schiessen. Ihn stört, weshalb Geri Müller als Nationalrat zurücktreten wird … Kein Witz. René Zeller schreibt:
Auch Geri Müller ist nur auf den ersten Blick einsichtig. Man hätte meinen können, dass der 54-jährige Stadtammann von Baden auf eine erneute Nationalratskandidatur verzichtet, weil er sich nach seinen allzu frivolen Handy-Aktivitäten Asche aufs Haupt streuen will. Das sei ganz und gar nicht so, belehrte uns Geri Müller. Er habe schon 2011 signalisiert, dass er auf eidgenössischer Ebene den Rückwärtsgang einschalten wolle und sich auf sein Amt als Badener Stadtammann konzentrieren wolle, falls 2015 im Aargau der grüne Nachwuchs flügge sei. Mit den jüngsten Vorfällen habe sein Verzicht auf eine erneute Nationalratskandidatur nichts zu tun. Meint der Märchenonkel aus der Grafschaft Baden wirklich, es finde sich irgendwo in der Schweiz jemand, der ihm das glaubt?
Haben Sie geprüft, Herr Zeller, ob Müller tatsächlich früher schon Rücktrittsabsichten geäussert hat? Was hätte Müller sagen sollen, falls der Rücktritt tatsächlich schon beschlossene Sache war? Hätte er lügen sollen, nur um René Zeller, den Märchenonkel der NZZ, zufriedenzustellen?
Den Parteien ist nicht gedient, wenn sie unglaubwürdige Exponenten in ihren Reihen dulden. Und letztlich schaden uneinsichtige Sesselkleber der politischen Sache insgesamt.
Das stimmt. Und: Zeitungen ist nicht gedient, wenn sie Journalisten in ihren Reihen haben, die unverblümt politische Ziele verfolgen und dabei auch vor Schlägen unter die Gürtellinie nicht zurückschrecken.
Ein Kommentar